Händel jazzt! George Overboard
Int. Händel-Festspiele Göttingen, © Foto: Alciro Theodoro da Silva
Und weiter geht’s mit einigen Geschichten und Hintergrundinfos zu unseren Konzerten in diesem Jahr. Ein besonderer Höhepunkt war unser Auftritt im Mai bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen – ein Konzert mit einer langen und intensiven Vorgeschichte.
Was macht man als Jazzmusiker bei den Händel-Festspielen? Was hat Händel überhaupt mit Jazz zu tun? Und wie passt das alles zusammen?
Genau diese Fragen haben uns über ein Jahr lang beschäftigt. Und wie so oft kam die zündende Idee unterwegs – bei einer Zugfahrt mit dem Eurostar von Calais nach London. Tief unter dem Ärmelkanal entstand das Bild: Wir werfen Georg Friedrich (George) Händel einfach über Bord. Inspiriert von den Wassermassen über uns, begaben wir uns auf musikalische Entdeckungsreise zu neuen Ufern – irgendwo zwischen Barock und Jazz. Was lag da näher, als Händels „Wassermusik“ als Ausgangspunkt zu wählen? Dieses Werk schrieb er 1717 für eine festliche Bootsfahrt von König Georg I. auf der Themse.
Gedanken aus der Moderation zum Konzert:
(Konzept & Idee, Shawn Grocott)
„Händel und Jazz – wie passt das zusammen?
Tatsächlich lassen sich einige Parallelen zwischen Jazz und Barockmusik erkennen – vor allem im Umgang mit Musik. In der Barockzeit war dieser ähnlich flexibel und pragmatisch wie im Jazz. Komponisten wie Händel gingen unbefangen mit ihrem Material um. Häufig griff er auf ältere Werke zurück, recycelte Passagen oder baute sie in neue Kompositionen ein – nicht selten stammten sie gar nicht von ihm selbst.
Auch spontane Einlagen waren nichts Ungewöhnliches: So konnte es vorkommen, dass Händel mitten in einer Opernvorstellung ein Orgelkonzert spielte – ganz ohne Bezug zur Handlung. Improvisation gehörte selbstverständlich dazu. Der Umgang mit Musik war insgesamt recht locker – und genau mit dieser Haltung haben auch wir uns dem Thema genähert.“
Auf Anregung des Festivals hin haben wir uns auch mit Händels Orgelkonzerten beschäftigt – und waren sofort fasziniert. Diese Werke, die Händel ja gerne spontan in seine Opernaufführungen einstreute, passten perfekt zu unserem Ansatz. So lag es nahe, unser Posaune-Gitarre-Duo für dieses Projekt zum Trio zu erweitern – und zwar stilecht mit einer Hammond-Orgel. So entstand der wunderbare Kontakt zum Kölner Tastenvirtuosen Gero Körner – ein kreativer Grenzgänger und Spezialist für das klangvolle Miteinander von Klassik, Pop und Jazz. Er verstand es auf beeindruckende Weise, das Wesentliche aus Händels Orgelwerken – klanglich wie auch in ihrer musikalischen Form – herauszufiltern, neu zu denken und in unser neu gegründetes Trio einzubetten.
Eine lange erste Probe
Neun Stunden dauerte unsere erste gemeinsame Probe – nur unterbrochen von einer kurzen Kaffeepause und einem Happen zu essen. Und wir hätten noch ewig weiterspielen können, denn von Anfang an war klar: Hier entsteht etwas Besonderes.
Ein zunächst noch angedachtes Stagepiano flog schnell wieder raus – der Klang der Hammond-Orgel hatte uns sofort in seinen Bann gezogen. Wer sich näher mit diesem faszinierenden Instrument beschäftigen möchte, dem empfehlen wir das Video Hammond History von Michael Falkenstein auf YouTube.
Auf nach Göttingen
In Göttingen war alles angerichtet: Das großartige Team um Festivalintendant Jochen Schäfsmeier empfing uns in der Sheddachhalle mit offenen Armen – jeder Wunsch wurde uns von den Lippen abgelesen. Für eine Premiere wie diese war das natürlich ideal. Auch für uns war es Neuland: eine ungewöhnliche Besetzung, barocke Notenberge auf den Pulten – und ein Publikum voller Händel-Kenner, das sich plötzlich in einem Jazzkonzert wiederfand.
Nach unserem zweistündigen Konzert bildete sich eine große Traube von begeisterten Zuhörern direkt an der Bühne – viele bestaunten den originalen Leslie-Lautsprecher, der zusammen mit der Hammond-Orgel diesen organisch-vibrierenden Sound in den Raum zauberte.
Am nächsten Tag titelte die HNA:
„Crossover-Projekt mit ‚Händel Overboard‘ in der Sheddachhalle ging auf“
Sogar unsere unterirdische Ideenfindung im Eurotunnel fand ihren Platz in der Rezension – das fühlt sich einfach gut an. Denn irgendwie hatten Händels Musik aus dem Jahr 1717 und unser Konzert im Jahr 2025 tatsächlich etwas gemeinsam.
Das Publikum hat es erlebt – und wir haben es gespürt. Und das schreit geradezu nach einer Fortsetzung. Das machen wir bestimmt nochmal. Versprochen!
Hier geht’s zur vollständigen Rezension der HNA:
(Fotos: © Alciro Theodoro da Silva und eigene Aufnahmen)
Ein großes Dankeschön geht an das:
Team der Int. Händel-Festspiele Göttingen
Intendant: Jochen Schäfsmeier
********************************************
Handel Goes Jazz – George Overboard
And here we go again – with more stories and background insights from our concerts this year. One of the highlights was our performance in May at the International Handel Festival in Göttingen – a concert with a long and intense prelude.
What’s a jazz musician doing at a Handel festival? What does Handel have to do with jazz? And how can those worlds possibly connect?
These were exactly the questions that occupied us for over a year. And as so often, the spark came while traveling – on a Eurostar train from Calais to London. Deep under the English Channel, the image appeared: we simply throw Georg Friedrich (George) Handel overboard. Inspired by the water masses above us, we set off on a musical journey to new shores – somewhere between the Baroque era and jazz. And what could be a more fitting starting point than Handel’s Water Music, composed in 1717 for a festive boat trip on the Thames for King George I?
Thoughts from the concert narration
(Concept & idea: Shawn Grocott)
“Handel and jazz – how do they go together?”
Surprisingly, there are quite a few parallels between jazz and Baroque music – especially in how music was approached. In the Baroque era, this approach was just as flexible and pragmatic as it is in jazz. Composers like Handel treated their material with great freedom. He often drew on earlier works, recycled passages, or incorporated them into new compositions – and not infrequently, the material didn’t even originate from his own pen. Spontaneous additions were also nothing unusual: it was not unheard of for Handel to perform an organ concerto in the middle of an opera – even if it had nothing to do with the plot. Improvisation was simply part of the musical culture. In short: music was handled in a much more relaxed way – and that’s exactly the spirit with which we approached this project.
Alongside the Water Music, we’ve long been fascinated by Handel’s organ compositions. So it was only natural to expand our trombone-guitar duo for this project – in style – with a Hammond organ.
And that led us to the brilliant Cologne-based keyboard virtuoso Gero Körner, a creative boundary-crosser and expert in the artful fusion of classical, pop, and jazz.
A long first rehearsal
Our very first rehearsal lasted nine hours – with just a short coffee break and a quick bite to eat. And honestly, we could have gone on forever, because right from the start it was clear: something special was happening here. A previously considered stage piano was quickly ruled out – the sound of the Hammond organ had completely captivated us. For anyone curious about this fascinating instrument, we highly recommend the YouTube video Hammond History by Michael Falkenstein.
Off to Göttingen
Everything was perfectly prepared in Göttingen. The fantastic team around festival director Jochen Schäfsmeier welcomed us with open arms at the Sheddachhalle – every wish anticipated and fulfilled. An ideal setup for a premiere like this. It was new ground for us, too: an unusual line-up, pages of Baroque sheet music on the stands – and an audience full of Handel connoisseurs suddenly finding themselves at a jazz concert. After our two-hour performance, a large crowd of enthusiastic listeners gathered right at the stage – many of them admiring the original Leslie speaker, which, together with the Hammond organ, filled the space with that unique organic, swirling sound.
The next day, the HNA newspaper headlined:
“Crossover project with ‘Handel Overboard’ in the Sheddachhalle hits the mark”
Even our underwater idea brainstorming in the Eurotunnel found its way into the review – and that just feels good. Because somehow, Handel’s music from 1717 and our concert in 2025 in Göttingen really did have something in common. The audience felt it – and so did we. And that’s calling out for a repeat. We’ll definitely do this again. Promise!
(Photos: © Alciro Theodoro da Silva and private images)
A heartfelt thank you goes out to:
The team of the International Handel Festival Göttingen
Festival Director: Jochen Schäfsmeier